Am 9. Juli 2025 hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit seinem Beschluss im Verfahren II B 13/25 erstmals ernsthafte Zweifel an der bisher gängigen Praxis der doppelten Grunderwerbsteuer bei sogenannten Share Deals geäußert. In diesen Fällen geht es um Transaktionen, bei denen Anteile an grundbesitzenden Kapitalgesellschaften erworben werden – häufig unter Aufspaltung in „Signing“ und „Closing“. Hier kam es in der Vergangenheit aufgrund der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung nicht selten zu einer Doppelbesteuerung.
Sachverhalt
Im entschiedenen Fall hatte ein Erwerber sämtliche Anteile an einer grundbesitzenden GmbH erworben. Der Vertrag wurde am 11. März 2024 notariell beurkundet (das sog. „Signing“). Die tatsächliche Übertragung der Anteile erfolgte jedoch erst am 29. März 2024 („Closing“). Das Finanzamt wurde zunächst nur über das Signing informiert, nicht aber über das spätere Closing.
In der Folge erließ das Finanzamt zwei Grunderwerbsteuerbescheide:
- Ein Bescheid gegenüber dem Erwerber auf Grundlage des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG (Erwerb von mindestens 90 % der Anteile),
- und ein weiterer gegenüber der GmbH nach § 1 Abs. 2b GrEStG (Übergang von mindestens 90 % der Anteile auf neue Gesellschafter).
Systematik des § 1 GrEStG: Wann greift welche Vorschrift?
§ 1 GrEStG regelt die verschiedenen Tatbestände, bei denen Grunderwerbsteuer anfällt. Wichtig in der Share Deal-Praxis sind insbesondere:
- § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG: Erfasst den Anteilserwerb an Kapitalgesellschaften, wenn dadurch mindestens 90 % der Anteile in einer Hand vereinigt werden oder auf eine Personengruppe übergehen.
- § 1 Abs. 2b GrEStG: Spezifischer Tatbestand für den Übergang von mindestens 90 % der Anteile einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft innerhalb von zehn Jahren.
Diese Tatbestände überschneiden sich zum Teil. Deshalb enthält § 1 Abs. 3 am Anfang eine wichtige Einschränkung: „Soweit ein Erwerbsvorgang nach Abs. 2a oder 2b der Besteuerung unterliegt, sind die Absätze 3 bis 3b nicht anzuwenden.“ Das bedeutet: § 1 Abs. 3 soll subsidiär gegenüber § 1 Abs. 2b gelten, also nur dann angewendet werden, wenn § 1 Abs. 2b nicht greift. Diese Vorrangregel soll Doppelbesteuerung verhindern – allerdings wurde sie bislang durch die Finanzverwaltung zeitlich verengt ausgelegt.
BFH: Kein zeitlicher Vorrangmechanismus
Der BFH stellte nun klar, dass die Vorrangregel des § 1 Abs. 3 GrEStG nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidung durch das Finanzamt begrenzt ist. Entscheidend sei allein, ob objektiv ein Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 2b vorliegt. Wenn das Finanzamt bei Erlass eines Bescheids nach § 1 Abs. 3 bereits Kenntnis vom Closing hat – also vom tatsächlichen Übergang der Anteile –, dann dürfe es nicht gleichzeitig oder später auch noch nach § 1 Abs. 2b besteuern. Aus Sicht des BFH sprechen daher ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer doppelten Steuerfestsetzung. In der Entscheidung heißt es sinngemäß: „Die Subsidiaritätsklausel im § 1 Abs. 3 greift objektiv – unabhängig vom zeitlichen Zugang der Informationen bei der Finanzbehörde.“ Das bedeutet: Kennt das Finanzamt das Closing zum Zeitpunkt des ersten Bescheids, muss es diesen unterlassen oder korrigieren – selbst wenn das Closing (noch) nicht angezeigt wurde.
§ 16 Abs. 4a und 5 GrEStG: Korrekturmöglichkeiten nicht entscheidend
Die Finanzverwaltung hatte bisher argumentiert, dass eine Korrektur über die neuen Rückwirkungsregelungen in § 16 Abs. 4a und 5 GrEStG möglich sei – aber nur dann, wenn das Closing vollständig und fristgerecht angezeigt wird. Erfolgt diese Anzeige nicht oder zu spät, bleibe die erste Festsetzung bestehen, und es komme zusätzlich die zweite hinzu. Der BFH folgt dieser engen Verwaltungsauslegung nicht. Er betont, dass § 16 GrEStG nicht den Vorrangmechanismus aus § 1 Abs. 3 durchbrechen kann. Auch unvollständige oder verspätete Anzeigen führen nicht automatisch zur doppelten Besteuerung, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2b objektiv erfüllt sind und dem Finanzamt bekannt waren.
Fazit und Bedeutung für die Praxis
Der Beschluss II B 13/25 stellt keine Entscheidung in der Hauptsache dar, sondern lediglich im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung. Dennoch ist seine Bedeutung kaum zu überschätzen. Er signalisiert erstmals die Bereitschaft des BFH, die bisherige Praxis der doppelten Grunderwerbsteuer bei Share Deals mit getrenntem Signing und Closing in Frage zu stellen. Damit könnte sich in der GrESt-Rechtsprechung ein durchgreifender Perspektivwechsel abzeichnen, insbesondere bei Fällen, wo beide Vorgänge angezeigt wurden. Für die Praxis bedeutet dies: Steuerpflichtige können sich in vergleichbaren Fällen auf diese Entscheidung berufen und Einspruch mit Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stellen und es lohnt sich, in Fällen mit parallelem Bescheid nach § 1 Abs. 3 und § 1 Abs. 2b genau zu prüfen, ob dem Finanzamt der spätere Vorgang bereits bekannt war. Besonders relevant ist dies für Erwerber, die sich bislang nicht auf § 16 GrEStG berufen konnten, etwa weil das Closing verspätet angezeigt wurde. Die Rechtsprechung des BFH könnte dazu führen, dass selbst in diesen Fällen eine Korrektur über den Vorrangmechanismus des § 1 Abs. 3 möglich ist – unabhängig von Formalien. Bis zu einer endgültigen Entscheidung des BFH bleibt es jedoch bei der unbedingten Empfehlung an den beurkundenden Notar, sowohl Signing, als auch Closing fristgerecht beim Finanzamt anzuzeigen.
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