Das Phänomen der „Erbschleicherei“ und eine darauf gerichtete Prävention nimmt auch in notariellen Praxis einen immer größeren Raum ein. Immer mehr Menschen erreichen – nicht zuletzt aufgrund des medizinischen Fortschritts – ein Alter, in dem sie auf fremde Hilfe im Alltag angewiesen sind. Hierdurch entstehen soziale Abhängigkeitsverhältnisse zu den betreuenden Hilfs- bzw. Vertretungspersonen, die in Einzelfällen ausgenutzt werden. Im Zusammenhang mit der Errichtung von notariellen Testamenten zugunsten dieser Hilfspersonen hatten wir im Rahmen dieses Blogs bereits an anderer Stelle darüber berichtet, dass Notaren in diesem Zusammenhang eine wichtige Funktion bei der Prüfung der Geschäfts- und Testierfähigkeit des Beteiligten einerseits, und der Ermittlung des wahren, unbeeinflussten Willens andererseits, zukommt.
Sittenwidrigkeit als weitere Wirksamkeitsschranke
Es wird jedoch auch immer wieder Fälle geben, in denen gezielt auf ältere, kranke und alleinstehende Menschen eingewirkt wird, um diese dazu zu bewegen, bei vollem Bewusstsein vor einem Notar zugunsten der beeinflussenden Person oder deren Angehörigen zu verfügen. Hier kann die Rechtsprechung auch im Nachhinein noch eine Nichtigkeit der betreffenden Verfügung wegen Sittenwidrigkeit feststellen. Das OLG Celle (Urt. v. 07.01.2021, Az. 6 U 22/20) hatte dies für ein notarielles Testament zugunsten eines Berufsbetreuers angenommen, der seinen Einfluss auf den betreuten Erblasser gezielt ausgenutzt hatte.
BGH erweitert Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit auch auf Schenkungsverträge
Nunmehr hatte der Bundesgerichtshof einen Fall (Urt. v. 26.4.2022 – X ZR 3/20) zu entscheiden, in dem die Sittenwidrigkeit einer lebzeitigen Vermögensverfügung zu beurteilen war. Der 90-jährige Kläger lernte eine 53 Jahre jüngere Frau kennen, die sich fortan unter anderem um die Verwaltung seiner Mietshäuser und sein persönliches Wohl kümmerte. Während eines Krankenhausaufenthalts erteilte er dieser zunächst eine Vorsorgevollmacht, die er kurze Zeit später auf Anraten seiner Tochter aber widerrief. Einige Tage später beantragte er notariell die Annahme seiner Lebensgefährtin als Tochter und übertrug ihr – noch immer aus dem Krankenbett – notariell zwei seiner Grundstücke. Später widerrief der Kläger alle Verfügungen und machte geltend, er sei zum Zeitpunkt der Übertragung der Grundstücke nicht geschäftsfähig gewesen und zudem in sittenwidriger Weise zum Abschluss des Übertragungsvertrags gedrängt worden.
Nach dem BGH kann sich die Sittenwidrigkeit eines unentgeltlichen Geschäfts auch und sogar in erster Linie aus den Motiven des Zuwendungsempfängers ergeben, wenn aus fremder Bedrängnis in sittenwidriger Weise Vorteile gezogen werden. Hierbei sei von Bedeutung, ob der Schenker sich den Wünschen des Beschenkten aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur nicht oder kaum hätte entziehen können und ob der Beschenkte dies wusste und die fehlende oder geschwächte Widerstandskraft des Schenkers eigensüchtig ausgenutzt oder es sogar darauf angelegt hat. Diese Umstände könnten die Nichtigkeit des Vertrags auch dann begründen, wenn die freie Willensbildung und damit die Geschäftsfähigkeit des Schenkers nicht vollständig ausgeschlossen war.
Fazit
Der BGH ruft auch den Notaren in Erinnerung, dass bei der Beurkundung von Testamenten oder unentgeltlichen Verfügungen über die Prüfung der Geschäftsfähigkeit hinaus, bei geschwächten und hilfebedürftigen Urkundsbeteiligten immer auch der Beeinflussbarkeit durch Dritte in den Blick genommen werden muss. Im Hinblick auf eine mögliche Sittenwidrigkeit ist daher in bestimmten Konstellationen jedenfalls ein entsprechender Zweifelsvermerk (§ 17 Abs. 2 S. 2 BeurkG) oder sogar die Ablehnung der Beurkundung angezeigt.
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