Während der COVID-19-Pandemie waren Aktionärstreffen mit Präsenz von hunderten bzw. tausenden Teilnehmern politisch unerwünscht. Deshalb wurde durch den Gesetzgeber im März 2020 u. a. für Aktiengesellschaften die Möglichkeit geschaffen, Hauptversammlungen virtuell abzuhalten, wenn folgende Voraussetzungen gewährleistet waren:
– die Bild- und Tonübertragung der Hauptversammlung,
– die (elektronische und durch Vertreter erfolgende) Stimmrechtsausübung,
– das (elektronische) Fragerecht und
– die Möglichkeit zum präsenzlosen Widerspruch.
Darüber hinaus ergaben sich jedoch relativ weitreichende Möglichkeiten der Verwaltung, das Frage- und Auskunftsrecht sowie das Antrags- und Rederecht der Aktionäre einzuschränken. Da die entsprechenden Regelungen jedoch von vorneherein zeitlich beschränkt beschlossen wurden, sind sie jetzt zum 31. August 2022 außer Kraft getreten.
Virtuelle Hauptversammlung nun dauerhaft im AktG
Aufgrund der grundsätzlich positiven Praxiserfahrungen in den vergangenen zwei Jahren war es das Ziel des Gesetzgebers, die Regelungen zur Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung grundsätzlich beizubehalten und weiterzuentwickeln. Am 27.07.2022 ist dementsprechend das Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung genossenschafts- sowie insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften in Kraft getreten (BGBl. I 2022, 1166).
Rechte der Aktionäre an die Präsenzhauptversammlung angeglichen
Mit der gesetzlichen Regelung hat der Gesetzgeber nun vor allem versucht darauf zu achten, dass die Aktionäre im Falle einer virtuellen Hauptversammlung ihre Rechte ebenso und weitestgehend vergleichbar wahrnehmen können wie bei der Präsenzversammlung. So haben Aktionären das Recht, Anträge und Wahlvorschläge im Wege der Videokommunikation auch in der Versammlung zu stellen. Aktionären, die sich identifizieren können, steht darüber hinaus ein Rederecht im Wege der Videokommunikation zu. In Bezug auf das Auskunftsrecht des Aktionärs wurde der Verwaltung dagegen die Möglichkeit eröffnet, insbesondere durch die Anordnung von Vorabeinreichungsfristen für Fragen sowie deren umfangsmäßigen Beschränkung die Hauptversammlung zu entzerren.
Satzungsermächtigung erforderlich
Anders als bei der Vorgängerregelung sieht § 118a Abs. 1 AktG nunmehr jedoch vor, dass die Satzung eine entsprechende Bestimmung oder eine Ermächtigung des Vorstandes zur Durchführung einer virtuellen HV enthalten muss, die jedoch auf maximal fünf Jahre befristet werden kann. Aufgrund einer entsprechenden Übergangsvorschrift (§ 26 n Absatz 1 EGAktG) können jedoch Hauptversammlungen, die bis einschließlich 31.8.2023 einberufen werden, auch noch ohne Satzungsgrundlage virtuelle nach den neuen gesetzlichen Vorgaben abgehalten werden und auf diesen kann dann über die entsprechende Satzungsänderung Beschluss gefasst werden.
Fazit
Diese gesetzlichen Neuregelung bedeutet einen weiteren Schritt in der Digitalisierung des Gesellschaftsrechts . Inwieweit die teilweise sehr formalen gesetzlichen Anforderungen an eine virtuelle Hauptversammlung in der Praxis angenommen werden, wird die HV-Saison 2023 zeigen. Die Regelungen bezieht sich neben einer Neufassung der aktienrechtlichen Bestimmungen auch auf die Generalversammlung bei Genossenschaften.