klühs notar

Lückenhaftes „Berliner Testament“ und gesetzliche Auslegungsregeln

Noch immer sind die Mehrzahl der von den Nachlassgerichten eröffneten Testamente vom Erblasser handgeschriebene Verfügungen, die (auch bei werthaltigen Nachlässen) zumeist ohne juristische Beratung abgefasst werden. Ein absoluter Klassiker unter den von Privatleuten verfassten Ehegattentestamenten ist das sog. „Berliner Testament“. Dabei setzten sich die Eheleute, der Erstversterbende den Überlebenden, zunächst wechselseitig zu Alleinerben ein. Erst nach dem Tod des letztverserbenden Ehegatten sind dann die gemeinsamen Kinder zu Schlusserben berufen.

Ersatzerbenregelung und Frage der Wechselbezüglichkeit oftmals nicht explizit angesprochen

Neben den steuerlichen Nachteilen, die ein solches Berliner Testament bereits strukturell mit sich bringen kann, ist in der Praxis leider auch erbrechtlich festzustellen, dass über das vorstehend beschriebene Grundkonstrukt hinaus, wichtige Detailfragen durch die Erblasser nicht geregelt werden. So rechnen die Ehegatten häufig nicht mit der Möglichkeit, dass eines der Kinder vor dem Letztversterbenden stirbt oder das Erbe ausschlägt. Dementsprechend fehlen regelmäßig ausdrückliche Regelungen zur Ersatzerbeinsetzung. Ohne juristische Beratung zumeist unbekannt ist auch die Frage, ob es dem überlebenden Ehegatten nach dem Tod des Erstversterbenden erlaubt sein soll, die Schlusserbfolge zu widerrufen und damit abweichende Verfügungen zu ermöglichen. Auch hierzu ist daher in vielen Laientestamenten in der Regel keine explizite Vereinbarung enthalten.

Gesetzliche Auslegungsregeln füllen teilweise die Lücke

Der Gesetzgeber hat diese Problematik gewissermaßen vorhergesehen und in das BGB für diese Fälle spezifische Auslegungsregelungen integriert. So regelt § 2069 BGB, dass wenn der Erblasser einen seiner Abkömmlinge bedacht hat und dieser nach der Errichtung des Testaments wegfällt, im Zweifel anzunehmen ist, dass dessen Abkömmlinge als Ersatzerben bedacht sind. Eine den postmortalen einseitigen Widerruf ausschließende (vgl. § 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB) wechselbezügliche Verfügung liegt nach § 2270 Abs. 2 BGB im Zweifel dann vor, wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahesteht.

Kumulative Anwendung der Auslegungsregeln ist unzulässig

Mit seiner Entscheidung vom 16.1.2002 (Az. IV ZB 20/01) hat der BGH jedoch entgegen seiner früheren Rechtsprechung eine kumulierte Anwendung der beiden vorgenannten Auslegungsregeln der §§ 2069 und 2270 Abs. 2 BGB abgelehnt. Fällt ein in einem Ehegattentestament als Schlusserbe eingesetzte Kind weg, wird danach die Wechselbezüglichkeit der Ersatzerbeinsetzung der Enkel nach § 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB nur vermutet, wenn sich Anhaltspunkte für einen auf deren Einsetzung gerichteten Willen der testierenden Eheleute feststellen lassen, die Ersatzerbeinsetzung des Enkelkindes also nicht allein auf der Vermutungsregel des § 2069 BGB beruht.

Auch bei individueller Auslegung ist die Auslegungsregel nicht zu berücksichtigen

Das OLG Frankfurt (Beschl. v. 8.10.2021 – 20 W 24/21) hatte nun aktuell die Frage zu entscheiden, inwieweit die Auslegungsregel des § 2069 BGB bei der individuellen Auslegung des Testaments in Bezug auf die Ersatzerbenberufung der Enkel berücksichtigt werden darf. Die längerlebende Ehefrau hatte statt der gleichmäßigen Einsetzung der beiden Söhne aus dem Ehegattentestament, in einem Einzeltestament einen der Söhne zum Alleinerben bestimmt und damit den Enkel, der vom vorverstorbenen Sohn abstammte, enterbt. Das OLG berücksichtigt die Auslegungsregel des § 2069 BGB bei seiner Testamentsauslegung nicht, da anderenfalls doch – entgegen der BGH Rechtsprechung – eine kumulative Anwendung der Auslegungsregeln drohe. Daher geht das Gericht nicht von einer wechselbezüglichen Erbeinsetzung des Enkelkindes und damit von einem wirksamen Widerruf der gemeinsamen Schlusserbeinsetzung durch die Ehefrau aus.

Fazit

Die vorstehend besprochene Fallkonstellation zeigt erneut exemplarisch, dass auch ein simpel anmutendes „Berliner Testament“ nicht selten erhebliche Auslegungsfragen aufwerfen kann. Es ist daher in jedem Fall zu empfehlen, sich im Rahmen der Testamentserrichtung fachkundig beraten zu lassen. Bei notariell beurkundeten Verfügungen von Todes wegen werden alle Zweifelsfragen bereits im Vorfeld besprochen und der Notar erörtert mit den Beteiligten die möglichen Alternativen. Anschließend wird der Wille der Erblasser zweifelsfrei und unmissverständlich in der Urkunde wiedergegeben.

Haben Sie zu diesem Thema Fragen oder Anregungen? Dann sprechen Sie meine Mitarbeiter oder mich gerne an.

Dr. Hannes Klühs

25 Juli, 2022

Weitere Themen

Immobilienrecht
Pflicht zur Beschaffung der Lastenfreistellungsunterlagen als Erfolgspflicht des Verkäufers

Pflicht zur Beschaffung der Lastenfreistellungsunterlagen als Erfolgspflicht des Verkäufers

Nach einer aktuellen Entscheidung des BGH handelt es sich bei der im Grundstückskaufvertrag übernommenen Verpflichtung des Grundstücksverkäufers, für die Sicherheit der Löschung der nicht übernommenen Lasten zu sorgen, um eine Erfolgspflicht. Das bloße Bemühen um die Pflichterfüllung genüge zur Pflichterfüllung nicht. Als eine angemessene Frist zur Pflichterfüllung definiert der BGH einen Zeitraum zwischen vier Wochen und zwei Monaten.

Mehr

Unternehmensrecht
Registergerichtliche Kontrolle bei wirtschaftlicher Neugründung

Registergerichtliche Kontrolle bei wirtschaftlicher Neugründung

Werden im Zuge der Übertragung sämtlicher Anteile an einer GmbH auch Änderungen des Gesellschaftsvertrags wie z.B. Firma, Sitz und Unternehmensgegenstand vorgenommen, wie dies etwa bei der Verwendung eines „GmbH-Mantels“ oder einer Vorratsgesellschaft der Fall ist, dann liegt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung eine sog. wirtschaftliche Neugründung vor. Auf diese sind die der Gewährleistung der Kapitalausstattung dienenden Gründungsvorschriften entsprechend anzuwenden, d.h. der Geschäftsführer hat den Umstand gegenüber dem Registergericht offenzulegen und die in §§ 8 Abs. 2, 7 Abs. 2und 3 GmbHG vorgesehene Versicherung abzugeben.

Mehr

Immobilienrecht
Brücker und Klühs Eingangsbereich
Mehrkosten für Beurkundungen in ungünstiger Reihenfolge

Mehrkosten für Beurkundungen in ungünstiger Reihenfolge

Notare sind über § 17 BeurkG gesetzlich zunächst dazu verpflichtet, die für die Beteiligten sicherste Vertragsgestaltung zu wählen. Stehen bei gleicher Sicherheit mehrere Gestaltungsvarianten offen, müssen sie den Weg beschreiten, der bei ihnen und anderen Stellen die geringsten Kosten auslöst. Wenn Mehrkosten nur deshalb entstehen, weil der Notar mehrere unmittelbar aufeinanderfolgende Beurkundungen in einer für die Beteiligten ungünstigen Reihenfolge vornimmt, ohne dass es sachlich gerechtfertigt wäre, sind die Kosten soweit nicht zu erheben, als sie den Betrag übersteigen, der bei korrekter Verfahrensweise zu bezahlen wäre.

Mehr

Immobilienrecht
Löschung eines Wohnungsrechts mittels Vorlage einer Meldebescheinigung

Löschung eines Wohnungsrechts mittels Vorlage einer Meldebescheinigung

Für die Löschung eines Wohnungsrechts im Grundbuch ist der volle Nachweis des dauerhaften Wegzugs erforderlich, der durch eine Meldebescheinigung allein nicht erbracht werden kann. Möglich ist es jedoch zum Beispiel, die Vorlage einer Meldebescheinigung selbst zu dem die auflösende Bedingung auslösenden Ereignis zu erklären.

Mehr

ImmobilienrechtSteuerrecht
Keine Grunderwerbsteuerbefreiung bei der Aufhebung einer Wohnungseigentümergemeinschaft

Keine Grunderwerbsteuerbefreiung bei der Aufhebung einer Wohnungseigentümergemeinschaft

Nach BFH ist die Aufhebung der GdWE und die Begründung von Miteigentum als steuerbarer Tausch gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 GrEStG zu behandeln. Anders als bei der Begründung von Wohnungs- und Teileigentum durch mehrere Miteigentümer komme für den umgekehrten Vorgang eine analoge Anwendung des § 7 Abs. 1 GrEStG nicht in Betracht.

Mehr

Unternehmensrecht
Brücker und Klühs Notare
Keine Eintragung einer GmbH & Co. KG vor ihrer Komplementärin

Keine Eintragung einer GmbH & Co. KG vor ihrer Komplementärin

Das OLG Brandenburg hat in einem aktuellen Beschluss festgestellt, dass eine KG nicht ins Handelsregister eingetragen werden kann, wenn ihre Komplementärin eine eintragungspflichtige Gesellschaft ist, die selbst noch nicht eingetragen wurde. Die Entscheidung verschärft bis zu einer etwaigen anderslautenden Entscheidung des BGH die Voraussetzungen für die Eintragung einer Kommanditgesellschaft deutlich.

Mehr

Immobilienrecht
Ausschluss der Vermietung an Asylbewerber in einer Gemeinschaftsordnung

Ausschluss der Vermietung an Asylbewerber in einer Gemeinschaftsordnung

Durch Vereinbarung der Wohnungseigentümer im Rahmen einer Gemeinschaftsordnung kann das Recht auf Vermietung des Sondereigentums beschränkt oder für bestimmte Fälle ganz ausgeschlossen werden. Das Kammergericht hat sich nun der Frage gewidmet, inwieweit derartige Vereinbarungen der Wohnungseigentümer dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) entsprechen müssen.

Mehr

Immobilienrecht
Zulässigkeit der Einreichung eines Aufteilungsplans in Papierform in einem Format größer als DIN A3

Zulässigkeit der Einreichung eines Aufteilungsplans in Papierform in einem Format größer als DIN A3

Seit der Neufassung der AVA zum  06.07.2021 regelt § 3 Abs. 3 S. 1 AVA, dass die Planseiten der einzureichenden Aufteilungspläne maximal das Format DIN A3 aufweisen dürfen. Werden abweichend hiervon größere Planunterlagen eingereicht und wird daraufhin die Abgeschlossenheit bescheinigt, stellt sich die Folgefrage, inwieweit das Grundbuchamt diese nicht gesetzteskonformen Unterlagen zur Grundlage der Eintragung machen darf.

Mehr

ImmobilienrechtNachfolgeplanung und Vorsorge
Probleme beim Erbnachweis mittels notariellem Testament im Grundbuchverfahren Teil 2

Probleme beim Erbnachweis mittels notariellem Testament im Grundbuchverfahren Teil 2

In der Praxis der Testamentsgestaltung wird die Schlusserbeneinsetzung durch die Erblasser-Ehegatten häufig damit auflösend bedingt, dass die vorgesehenen pflichtteilsberechtigten Schlusserben nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten den Pflichtteil fordern. Das führt zu Nachweisproblemen im Grundbuchverfahren, wenn im Erbfall dann das Grundbuch berichtigt werden soll.

Mehr

Unternehmensrecht
Zulässige Hinauskündigungsklausel in Form einer Vesting-Regelung bei einem Start-up

Zulässige Hinauskündigungsklausel in Form einer Vesting-Regelung bei einem Start-up

Die Zulässigkeit von Vesting-Regelungen gerät immer mehr in den Fokus der Rechtspraxis. Hierzu liegt nunmehr eine erste Gerichtsentscheidung des Kammergerichts vor. Danach haben Investoren ein legitimes praktisches Bedürfnis nach einer (zeitlich limitierten) Vesting-Regelung, da sie darauf angewiesen seien, dass sich die Gründer weiterhin mit ihrem Know-How voll einbringen.

Mehr