Jeder Notar kennt diese Situation: Es wird ein Kaufvertrag über ein Teileigentum beurkundet und im Beurkundungstermin kommt zur Sprache, dass die Einheit bereits seit Jahren als Wohnung genutzt wird. Auf Nachfrage antwortet der Verkäufer daraufhin vielleicht, die Wohnnutzung sei nachträglich baurechtlich genehmigt worden und ist verwundert, warum überhaupt ein Problem gesehen wird.
Wohnungseigentumsrechtliche Zulässigkeit der Wohnnutzung
Den Parteien des Kaufvertrags ist hier zu verdeutlichen, dass es neben der baurechtlichen Zulässigkeit der Nutzung auch eine wohnungseigentumsrechtliche Dimension des Problems gibt. § 1 Abs. 2 und 3 WEG unterscheidet das Sondereigentum in Wohnungs- und Teileigentum. Während das Wohnungseigentum dem Zweck der Wohnnutzung dient, kann das Teileigentum (vorbehaltlich etwaiger weiterer Einschränkungen in der Gemeinschaftsordnung) zu jedem anderen Zweck genutzt werden. Nutzt ein Eigentümer seine ihm als Teileigentum zugewiesene Einheit zu Wohnzwecken oder umgekehrt eine ihm als Wohnungseigentum zugewiesene Einheit zu anderen Zwecken, kann von ihm durch den Verband der Wohnungseigentümer grundsätzlich Unterlassung dieser Nutzung verlangt werden.
Zweckwidrige Nutzung nur dann unzulässig, wenn störender
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine nach dem vereinbarten Zweck nicht gestattete Nutzung jedoch dann nicht untersagt werden, wenn diese bei typisierender Betrachtungsweise nicht mehr stört als die vorgesehene Nutzung. Das bedeutet, dass dann in jedem Einzelfall zunächst das zulässige Maß der Nutzung und das aus dieser Nutzung folgende Maß an Beeinträchtigungen festzustellen und in einem zweiten Schritt zu prüfen ist, ob die tatsächliche Nutzung des Sondereigentums dieses Maß überschreitet.
Neue Entscheidung des BGH
Nunmehr hat der BGH ein einer aktuellen Entscheidung (Urt. v. 16.7.2021, Az. V ZR 284/19) erneut zu dieser Problematik Stellung genommen und dabei einige bemerkenswerte Feststellungen getroffen. Die streitgegenständliche Wohnungseigentumsanlage bestand aus einem Mehrfamilienhaus mit acht Eigentumswohnungen und einem Teileigentum in Form einer Scheune, die gemäß der Teilungserklärung in beliebiger bauordnungsrechtlich zulässiger Weise umgebaut werden durfte. Später wurde die Scheune abgebrochen und stattdessen ein durch den Eigentümer selbstgenutztes Einfamilienhaus errichtet.
Wohnnutzung im Vergleich zur gewerblichen Nutzung nicht regelmäßig störender
Nach dem BGH ist die Wohnnutzung im Vergleich zu einer gewerblichen Nutzung bei typisierender Betrachtung nicht regelmäßig störender. Bestehe eine Anlage ausschließlich aus Teileigentumseinheiten (z.B. Ärztehaus), hätten die Eigentümer u.U. ein berechtigtes Interesse daran, dass der durch die Teilungserklärung vorgegebene professionelle Charakter einer derartigen Anlage erhalten bleibe. Anders könne es sich aber verhalten, wenn die Anlage – wie hier – im Übrigen nur aus Wohnungen bestehe. Es gebe keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass die Wohnnutzung die intensivste Form des Gebrauchs einer Sondereigentumseinheit sei. Vielmehr könne eine Nutzung zu anderen als Wohnzwecken genauso störend oder störender als eine Wohnnutzung sein. Dies gelte insbesondere in Fällen, in denen die Gemeinschaftsordnung die Nutzung des Teileigentums nicht beschränke und daher auch weit störendere Nutzungen, wie z.B. ein Beherbergungsbetrieb möglich sind.
Fazit
Nach der Entscheidung des BGH lässt sich festhalten, dass die Nutzung einer Teileigentumseinheit zu Wohnzwecken bei typisierender Betrachtungsweise jedenfalls dann nicht störender als die vorgesehene Nutzung und deshalb zulässig ist, wenn es (1) an einer einschränkenden Zweckbestimmung für das Teileigentum fehlt, (2) die Teileigentumseinheit in einem separaten Gebäude (mit getrennter Kostenregelung) gelegen ist und (3) auch die übrigen Sondereigentumseinheiten ausschließlich der Wohnnutzung dienen. In allen anderen Fällen wird es auf eine Abwägung im Einzelfall hinauslaufen. Hier kann es sich – trotz der in der Praxis komplizierten Umsetzung – anbieten, im Vorfeld eines Verkaufs die Zweckbestimmung von einem Teil- in ein Wohnungseigentum zu ändern.
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